So, das Spiel in Osnabrück – das „Wunder von der Bremer Brücke“, wie es mittlerweile schon heißt – its jetzt schon über 50 Stunden her. Nachdem mein Eintrag im Spieltagebuch während der sechsstündigen Heimfahrt im Fanbus entstanden ist, wird es Zeit, jetzt noch einmal nüchtern (im wahrsten Sinne des Wortes) zurückzublicken auf das, was sich am Samstag abgespielt hat. Und auf das, was vor uns liegt.
Und was soll ich sagen? Ich bin immer noch begeistert. Vielleicht sogar noch ein bisschen mehr. Weil mir bei jedem Mal, wenn ich das Spiel bzw. die Highlights angesehen habe, bewusst geworden ist, wie besonders dieser Sieg war – und wie wichtig die drei Punkte waren und noch sein könnten.[1]Ich habe nicht mitgezählt, aber ich schätze, dass ich die Highlights vielleicht 20 Mal angesehen habe. Die letzten 20 Minuten habe ich mir allein zweimal angesehen. Und nicht zuletzt bin ich – wie schon im Spieltagebuch beschrieben – seit Samstag total optimistisch, dass wir die Liga halten werden. Doch dazu gleich noch mehr.
Gefühlsexplosion I
Ich hatte am Samstag ja geschrieben, dass kein Auswärtserlebnis den Sieg in Illertissen toppen kann. Die Aussage würde ich mittlerweile revidieren. Das ganze Drumherum (3. Liga, Bremer Brücke, 12.000 Zuschauer) und der Spielverlauf (ein 0:2 aufgeholt bei dem Team, das zuvor siebenmal gewonnen hatte) sorgten schon in der 86. Minute für eine selten erlebte Gefühlsexplosion, als der überragende Eroll den Ball aus der Distanz ins Tor hämmerte.
Gefühlsexplosion II
Eroll treibt den Ball aus dem eigenen Mittelfeld an.[2]In der Rückbetrachtung Wahnsinn, was für Meter wir in der Schlussphase auf dem tiefen Geläuf nach diesem Kampf noch gemacht haben! Er geht zur Grundlinie, schwanzt Tesche, legt zurück. Diawusie zieht ab.
Ich habe nicht mitgezählt, wie oft ich diese Szene vor meinem inneren Auge noch einmal abgespielt habe. Natürlich nicht die TV-Bilder, sondern mit dem Blick aus dem Gästeblock, denn so habe ich das Tor ja auch erlebt: aus über 100 Metern Entfernung, mit mehreren Spielern dazwischen, so dass ich es gar nicht richtig erkennen konnte, sondern logisch schlussfolgern musste:
Wenn Diawusie aus halblinker Position abgezogen hat, der Ball – wenn auch nicht stark geschossen – tatsächlich in Richtung Tor ging, der Torwart ihn augenscheinlich nicht gehalten hat, weil es sonst Applaus von den Rängen gegeben hätte, ich den Ball aber auch nicht mehr sehe, er also mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht ins Aus gegangen ist.
Dann muss gerade wirklich das 3:2 für uns gefallen sein.
Ich weiß nicht mehr genau, was sich genau in dem Moment um mich herum abgespielt hat, aber ich meine mich zu erinnern, dass ich nicht der einzige war, der in diesen Zehntelsekunden etwas verdutzt war. Dass wir hier ein 0:2 aufholen, ist ja schon verrückt genug. Aber das 3:2? Kann das sein? Und kann es dann wirklich Diawusie gewesen sein – der Spieler, dessen letztes Profitor fast vier Jahre zurückliegt?[3]Das habe ich mir in dem Moment, als Diawusie abzog, tatsächlich gedacht. Der Ball kann gar nicht reingehen, das kann einfach nicht sein, dass Agy in seinem dritten Spiel für uns so ein Tor macht.
Ich jedenfalls habe – wie ich es immer mache, sobald ich mir logisch erschlossen habe, dass hier gerade ein Tor gefallen sein müsste – erst mal zum Linienrichter geschaut. Kein Abseits. Und dann sehe ich sie schon, die Altstädter Jubeltraube, wie sie in Richtung Haupttribüne rennt. Dass Diawusie sein Trikot ausgezogen hat, bekomme ich erst später mit, vermutlich weil ich selbst abdrehe, ungläubig auf und ab renne, meine Nebenleute herze. Bier in die Luft schmeißen kann ich nicht mehr, das ging schon beim 2:2 drauf.
Und allmählich dämmert es mir: Wir haben tatsächlich gerade das 3:2 an der Bremer Brücke geschossen.
Das alles spielte sich in vielleicht zehn Sekunden ab. Zehn Sekunden, die in meinen Augen einen Platz ganz weit oben haben in der über 100-jährigen Vereinsgeschichte. In meinem Fan-Herzen sowieso, denn mit etwas Abstand – ganz nüchtern betrachtet – stelle ich fest: Das war das beste Auswärtserlebnis meines bisherigen Daseins als Altstadt-Fan.
Dinge, die mich optimistisch stimmen
Wir haben im neuen Jahr gegen die Teams auf den Rängen 2, 3, 7, 9, 14 und 16 gespielt und dabei neun Punkte geholt. Das hätte jeder sofort unterschrieben.
Wir haben eine gefestigte Mannschaft, in der einzelne Spieler herausragen – und wir brauchen nicht einmal einen überragenden Nolle oder Kolbe, um ein Spiel zu gewinnen.
Im Gegensatz zu den meisten Konkurrenten gibt es bei uns einen klaren Aufwärtstrend.
Wir haben auswärts endlich mal wieder gewonnen und dabei sogar einen Rückstand gedreht.
Wir haben in den letzten beiden Spielen fünf Tore in der Schlussphase gemacht. Wenn wir Tore brauchen, dann können wir sie auch machen.
Überhaupt erspielen wir uns viele Chancen, weil wir uns sichtlich mehr zutrauen – kein Vergleich zu vor der Winterpause, wo wir vor allem auswärts viel zu ängstlich agiert haben.
Wir haben schon jetzt genauso viele Spiele gewonnen wie im alten Jahr – bei einem Drittel der Spiele.
Wir haben endlich mal „Bonuspunkte“ geholt, die so mal überhaupt nicht einzuplanen waren. Davon gab es in der Saison bislang eigentlich keinen einzigen.
Wir haben in Osnabrück nicht makellos verteidigt, aber aus dem Spiel heraus haben wir nur wenig zugelassen. Die beiden Gegentore fielen nach Standards, und da ist Osnabrück einfach sehr gefährlich.
Wir spielen gegen die Mannschaften auf den Plätzen 17, 18, 19 und 20 noch zu Hause.
Jetzt nachlegen!
Heimspiel 1 gegen einen Konkurrenten wartet am Samstag, es geht gegen Zwickau. Nachlegen lautet die Devise, auch wenn das natürlich leichter gesagt ist als getan. Zwickau hat den Trainer gewechselt, was sie ganz schwer einschätzbar macht. Und sie werden uns – anders als alle anderen Gegner, die wir im neuen Jahr hatten – nicht den Gefallen tun und das Spielen übernehmen.
Zum ersten Mal seit sehr, sehr langer Zeit – wahrscheinlich zum ersten Mal überhaupt in dieser Saison – werden wir als Favorit in ein Spiel gehen.[4]Umso erstaunlicher, dass wir im Vorfeld eine Quote von 2,65 gegenüber 2,45 von Zwickau haben. Verstehe ich nicht, aber die sollen uns ruhig schwach rechnen. Das ist eine ganz andere Situation, mit der wir auch erst einmal klarkommen müssen. Druck wäre so oder so da, denn seit dem ersten Spieltag ist klar, dass wir so ein Spiel gewinnen sollten, wenn wir die Liga halten wollen.
Auf der anderen Seite haben wir jetzt ein ganz anderes Selbstverständnis. Und nach den vielen Schritten, die wir in den letzten Wochen gemacht haben, fehlt halt dieser eine noch: mal nach einem Sieg direkt nachzulegen, am besten auch noch gegen einen direkten Konkurrenten.
Aber auch wenn das nicht klappen sollte am Samstag: Ich war nie so optimistisch, dass wir die Liga halten, wie im Moment!
Oldschdod!
Fußnoten
↑1 | Ich habe nicht mitgezählt, aber ich schätze, dass ich die Highlights vielleicht 20 Mal angesehen habe. Die letzten 20 Minuten habe ich mir allein zweimal angesehen. |
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↑2 | In der Rückbetrachtung Wahnsinn, was für Meter wir in der Schlussphase auf dem tiefen Geläuf nach diesem Kampf noch gemacht haben! |
↑3 | Das habe ich mir in dem Moment, als Diawusie abzog, tatsächlich gedacht. Der Ball kann gar nicht reingehen, das kann einfach nicht sein, dass Agy in seinem dritten Spiel für uns so ein Tor macht. |
↑4 | Umso erstaunlicher, dass wir im Vorfeld eine Quote von 2,65 gegenüber 2,45 von Zwickau haben. Verstehe ich nicht, aber die sollen uns ruhig schwach rechnen. |
2 Antworten auf „Zehn Sekunden für die Ewigkeit: Noch ein paar Gedanken zum Spiel in Osnabrück (und zum Spiel gegen Zwickau)“
Servus Peter. Freue mich, dass du an der Bremer Brücke dabei warst. Wahnsinn. Im Fernsehen waren die Altstädter Fans deutlich und lautstark wahrnehmbar, auch wenn der Moderator von einem dünn besetzten Auswärtsblock sprach. ?? Du, aber auch wir alle werden diesen Coup nie vergessen. Denke, dass dieses Spiel einen ähnlichen Stellenwert, historisch gesehen, wie der 2:1 Auswärtssieg beim Club 1973 einnehmen wird.
Es war und lief nicht alles rund, war aber auch ein tiefes Geläuf und die Osnabrücker sind keine Laufkundschaft.
Jetzt mal gegen Zwickau nachlegen, wäre fast zu schön. Wir sind in dieser Liga niemals Favorit. Zumindest noch nicht.
Was mir noch aufgefallen ist: Die Niedersachsen halten uns am Leben.
Siehe Meppen, Oldenburg. Die Serie darf zu Hause nicht abreißen.
Servus Wolfang – puh, auf einer Stufe mit dem 2:1 in Nürnberg? Das ist schon hochgegriffen, aber mit dem ganzen Drumherum (12k Zuschauer, Gegner siebenmal zuvor gewonnen, …) definitiv ganz oben in der Altstädter Historie. Im Buch zum 125. Jubiläum wird das Spiel definitiv seinen Platz finden 😉
Gut, dass wir Meppen und Oldenburg zu Hause haben. Aber jetzt erst mal auch zur Abwechslung ein sächsisches Team schlagen!